Kraus Sudetendeutscher Verlag Entstehung

Franz Kraus: Der Sudetendeutsche Verlag. Wie dieser mein Verlag entstand.
In: Die Wünschelrute: Jahrbüchlein der „Heimatbildung“ für 1930. Zum zehnjährigen Bestand des Sudetendeutschen Verlages Franz Kraus in Reichenberg. Reichenberg: Sudetendeutscher Verlag Franz Kraus 1929, S. 135–140.

Wenn ich schildern soll, wie der Sudetendeutsche Verlag begründet wurde, so muß ich etwas weiter zurückgreifen. Einer erzgebirgler Bergmannsfamilie aus der Plattener Gegen entstammend, die in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in das Pilsener Steinkohlenbecken übersiedelte – mein Großvater war Obersteiger auf den Mantauer Schächten, mein Vater auf dem Austriaschacht und Zieglerschacht als Beamter, Bergmeister und später auf den Concordia-Schächten als Bergdirektor tätig –, widmete ich mich schon frühzeitig dem Buchhandel und erlernte ihn in Pilsen in der Buchhandlung Steinhauser, die damals der bekannten Buchhändlerfamilie Steinhauser-Hansen gehörte. Meine Wanderjahre führten mich im Herbst 1900, einundzwanzig Jahre alt, in die alte Kaiserstadt Aachen, zu dem angesehenen Buchhändler Rodrigo Weyers. Während ich da in Aachen arbeitete und den reichsdeutschen Buchhandel kennenlernte, begann in Prag die Monatsschrift „Deutsche Arbeit“ als eine künstlerisch-literarische Stammesrundschau zu erscheinen. Ihre gehaltvollen Hefte brachten mir Grüße aus dem Heimatlande im Osten. Diese von Prof. Dr. Sauer herausgegebene und von Prof. Dr. Hauffen geleitete Monatsschrift erweckte aber zugleich immer stärker meine Anteilnahme.

Mein weiterer Weg führte mich im Sommer 1902 nach Prag. Ich trat in die J.G. Calvesche Hof- und Universitätsbuchhandlung ein, deren Besitzer Josef Koch unter den wissenschaftlich eingestellten Buchhändlern einer der angesehensten war. Das brachte mich bald den literarisch und wissenschaftlich tätigen Führer-Persönlichkeiten der Deutschen Böhmens näher und ich kam mit ihnen in unmittelbare Berührung. Sauer, Hauffen, Krettner, Brömse und Theile bildeten den Kreis um die „Deutsche Arbeit“, die aber im Lande noch lange nicht die Verbreitung hatte, die ihr gebührte. Ich sah es deshalb für eine verdienstliche Sache an, für die Verbreitung der wertvollen Monatsrundschau nach Kräften einzutreten. Kurz nach dem Ableben Josef Kochs verließ ich meine Stellung bei Calve und übernahm nun auf eigene Rechnung den Vertrieb der Zeitschrift „Deutsche Arbeit“; ich besuchte selbst die in Betracht kommenden Persönlichkeiten in den verschiedensten Teilen unseres deutschbewohnten Gebietes, und es gelang mir, den Bezieherkreis wesentlich zu vergrößern und tragfähiger zu gestalten. Meine Tätigkeit fand eine gute Aufnahme in den weitesten Kreisen, trotz der gegen Prag gerichteten Einstellung der Deutschen im Lande.

Der Ausbruch des Weltkrieges bereitete allerdings meiner persönlichen Werbetätigkeit ein Ende. Dr. Hermann Ullmann hatte schon zwei Jahre zuvor die Schriftleitung der Zeitschrift übernommen und gestaltete sie um, indem er ihr einen stärkeren politischen Einschlag gab und die Verbindung mit der Schutzarbeit und den Schutzvereinen pflegte. Nach einem ersten Aufschwung verlor sie aber, hauptsächlich infolge der Kriegsverhältnisse, wieder an Boden und in den heimatlich eingestellten Kreisen nahm die Anteilnahme ab, zumal Dr. Ullmann seinen Wohnsitz in Berlin hatte; von der „Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur in Böhmen“ wurde sie nicht mehr mit betreut. Stets von der Hoffnung beseelt, die angesehene Heimatrundschau bei passender Gelegenheit wieder heimatlicher zu gestalten, hielt ich die Verbindung aufrecht, bis mir eine Anklage nach dem Schutzgesetz ihre Weiterherausgabe als „inländische“ Zeitschrift unmöglich machte; sie mußte in der Folge als ausländische Veröffentlichung erscheinen.

Auch den kommissionsweisen Vertrieb der vom „Deutschen Verein zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse“ in Prag herausgegebenen Veröffentlichungen in der Reihe „Sammlung gemeinnütziger Vorträge“ und die zu Anfang des Weltkrieges von ihm unter der Schriftleitung des Wiener Dichters Stüber-Günther herausgegebenen „Deutsch-österr. Grüße ins Feld“ hatte ich mit übernommen. Viele Zehntausende dieser „Grüße ins Feld“ und Folgen der „Sammlung gemeinnütziger Vorträge“ konnten unseren Braven in den Schützengräben und auf den Kriegsschiffen und U-Booten als Grüße aus der Heimat und oft einziger Lesestoff mit Heften der „Deutschen Arbeit“ als Gaben von den Herausgebern nachgeschickt werden. An der Spitze des Vereins standen damals Univ.-Prof. Dr. Adolf Hauffen, und als Geschäftsführer Dr. Gustav Peters, der es ausgezeichnet verstand, die richtigen Vorträge auszuwählen.

Der Umsturz führte mich nach Reichenberg. Das Palais Clam-Gallas in Prag, welches die genannte Gesellschaft und die von ihr beigestellten Verlagsräume der „Deutschen Arbeit“ beherbergte, wurde vom Staate beschlagnahmt. Die „Gesellschaft“ fand im Palais der Landeskommission für Kinderschutz und Jugendfürsorge auf der Kleinseite Unterkunft. Aber auch dieses Gebäude wurde vom Staate in Besitz genommen, so daß die Landeskommission in das geschlossene deutsche Gebiet übersiedeln mußte. Erziehungsrat Doktor Hugo Heller fand Aufnahme in Reichenberg und übersiedelte in entgegenkommender Weise auch die Bestände der „Deutschen Arbeit“ mit nach Reichenberg, wofür ich ihm an dieser Stelle noch vielen Dank sage. So führte mich eine Fügung des Schicksals in die Stadt, die immer mehr zum kulturellen Vorort der Deutschen in Böhmen werden sollte, ich gründete hier meinen Verlag samt Buchhandlung.

Über den Verlagsnamen unterhielt ich mich mehrfach mit meinem väterlichen Freund und Gönner Hofrat Sauer, ebenso über die verschiedenen Verlagspläne. Sauer schlug mir u.a. den Namen „sudetenländisch“ vor. Ich wählte das Wort „sudetendeutsch“. Die Bezeichnung „Sudetendeutscher Verlag“ wurde aber von der Postbehörde zunächst nicht zugelassen, das heißt die Poststücke wurden nicht befördert. Erst auf mein Einschreiten hin bewilligte die Postdirektion die Bezeichnung „Sudetendeutscher Verlag“, und zwar „bis auf weiteres“. Inzwischen ließ ich den Firmawortlaut ins Handelsregister eintragen. Die Bezeichnung „sudetendeutsch“ ging nun aber bald in unsern deutschen Wortschatz über und viele Verbände, Vereine, Zeitschriften und Zeitungen legten sie sich nach der von mir durchgesetzten behördlichen Duldung zu. Es war ja notwendige, eine gemeinsame Benennung für die Deutschen in dem neuen Staatswesen zu finden.

In meinem Verlag vereinigte ich bald eine Reihe von Veröffentlichungen, die von der „Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur“, der jetzigen „Deutschen Gesellschaft der Wissenschaften und Künste für die Tschechoslowakische Republik“ herausgegeben wurden. Weiter erwarb ich die von Josef Jäger und O. Baudisch gegründete Zeitschrift „Rübezahl“, eine politisch-satirische Zweiwochenschrift mit Bildern, die von dem Schriftsteller Friedrich Jaksch geleitet wurde, später von Schriftsteller Josef Wolf und schließlich von Willi Pleyer, worauf ich sie Herrn Nöhrig verkaufte. Als neue Veröffentlichung trat nun die Monatsschrift „Heimatbildung“ auf den Plan, der die „Sudetendeutsche Bücherei“, die „Sudetendeutschen Heimatgaue“, „Sudetendeutsches Volk und Land“, der „Heimatschulmeister“ und viele andere Schriftenreihen folgten. Diese und andere in meinem Verlag herausgegebenen Werke, die unser Land und seine Geschichte und Lage behandeln, haben als wichtige Aufklärungsschriften ihre Wirkung nicht verfehlt.

Die „Böhmerland-Woche“ in Triebsch vom Jahre 1919 war insbesondere von entscheidender Bedeutung für diesen Neuaufbau wie überhaupt für die Anbahnung einer neuen sudetendeutschen Bildungsbewegung, ja der sudetendeutschen Bewegung überhaupt. Hier trafen sich mit Vertretern der Jugendbewegung Dr. Gierach, Dr. Lehmann, Oberlehrer Blau, Prof. Metzner, die Fachlehrer Göth, Herzog und Syrowatka u.a. Hier wurde die Zeitschrift „Heimatbildung“ begründet als Arbeitsblatt für die neue heimatlich einzustellende Erwachsenenbildung. Unter der Leitung von Lehrmann und Blau hat sie bereits den elften Jahrgang erreicht und ihre angesehene Stellung behauptet. Die Zusammenarbeit mit diesem Kreis, den ich in Triebsch selbst kennenlernte – Lehmanns Büchlein „Heimatkundliche Volkserziehung“ hält die Stimmung dieser Tage am besten fest –, fiel auf fruchtbaren Boden. Viele von den Anregungen, die dort ausgestreut wurden, sind auf verschiedenen kulturellen Gebieten inzwischen verwirklicht worden. So wurde unter anderm auch der „Deutsche Verband für Heimatforschung und Heimatbildung“, Sitz Aussig, geschaffen sowie unser größter Volksbildungsverband, die „Gesellschaft für deutsche Volksbildung in der Tschechoslowakischen Republik“, die ihren Sitz 1928 nach Reichenberg verlegte; beiden dient die „Heimatbildung“ als Organ. Auch persönlich waren diese neuen Arbeitsverbindungen von Bedeutung:

An der Sprachgrenze aufgewachsen, hatte ich die stürmischen Jahre 1897, 1907, 1908, 1914 aus allernächster Nähe mitangesehen und miterlebt, und indem ich die kulturelle Tätigkeit unserer Großen verfolgte, wies mir nun all dies den Weg, den unser sudetendeutsches Volk zu gehen hätte, auf den es geführt werden müßte.

Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit mit den geistig Schaffenden unserer letzten 25 Jahre, insbesondere mit den Führern unserer Heimatbewegung und Bildungsarbeit, die mir in ihrer unermüdlichen Arbeitsfreude und in ihrer unbeugsamen Willenskraft vielfach zum Vorbild dienten, spiegelt auch das Bücher- und Schriftenverzeichnis meines Verlages. Viele von diesen Schriften sollen, kulturpolitisch eingestellt, aufzeigen, was unser sudetendeutsches Volk bereits geleistet hat und noch ständig leistet, und sollen erweisen, daß es trotz aller Bedrängnis unseren Landesmitbewohnern ebenbürtig, ja in manchen Belangen eher überlegen ist: als Zweig der großen deutschen Nation.

Als Folge meiner buchhändlerischen und verlegerischen Tätigkeit wurde mir die Schriftleitung des Fachblattes unserer buchhändlerischen Organisationen „Der Buchhändler“ im Jahre 1921 übertragen. Ich regte zu dieser Zeit bei unserem heimischen Verlag die Schaffung einer „Bibliographie in den Sudetenlanden“, ähnlich der im Deutschen Reiche vom Börsenverein der deutschen Buchhändler in Leipzig geführten, an und sammelte die in unseren Sudetenländern erschienenen Veröffentlichungen für eine zukünftige deutsche Studienbibliothek im deutschen Siedlungsgebiete. Nach erfolgter Gründung der „Bücherei der Deutschen“ in Reichenberg, unserer von Hofrat Sauer schon 1909 angeregten deutschen Nationalbibliothek, wurden und werden ihr die für diese Bibliographie gewidmeten Stücke zugewiesen.

Im Jahr 1922 wurde ich Mitgründer des „Nordböhmischen Verlags Ges.m.b.H.“ in Reichenberg und dessen geschäftsführender Gesellschafter. Dieser Verlag ist ein ausgesprochener Schulbuchverlag. Bis zum Umsturz war Wien der Sitz des österreichischen Schulbuchverlages. Die Nachfolgestaaten bedingten eigene Lehrbücher für ihren Bereich. Der Nordböhmische Verlag in Reichenberg holte deshalb die einschlägigen und brauchbaren Lehrbücher aus dem nunmehr Ausland gewordene Österreich heim und bereitete ihnen hier eine neue Heimat. Diese Zusammenziehung des deutschen Verlagsbuchhandels in Reichenberg machte diese Stadt zum buchhändlerischen „Leipzig“ in den Sudeten, was aber vielfach nur in Buchhändlerkreisen und nicht in der weiteren Öffentlichkeit bekannt ist.

Schwierig in mannigfacher Hinsicht waren die letzten zehn Jahre dieser meiner Tätigkeit, in denen ich mich vielfach auf mich selbst gestellt und nur von einigen wenigen verständnisvoll gefördert sah – ihnen will ich auch hier recht herzlich danken.

Von der Überzeugung ausgehend, daß nur in der Zusammenfassung aller schöpferisch tätigen Kräfte unseres sudetendeutschen Volkes unser kulturelles Gedeihen liegt, möchte ich den Wunsch aussprechen, daß die Losung: „Nichts für Dich selbst, alles für unser sudetendeutsches Volk“, zur allgemeinen Richtschnur würde.