J. Steinbrener, Winterberg im Böhmerwald/Vimperk
Hundert Jahre Verlag J. Steinbrener[1]
Wenn sich ein Indianer vom Stamme der Ahmara, ein Neger aus dem Innersten des schwarzen Erdteiles oder ein anderer Angehöriger irgend eines exotischen Stammes zum sonntägigen Kirchgang rüstet, so ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß ihn dazu ein Gebetbuch aus dem Verlag J. Steinbrener begleiten wird. Es tag – bis vor dem zweiten Weltkrieg – auf der ganzen Erde kein ähnlich ausgebautes Verlagsunternehmen, welches nicht nur in seiner Vielsprachigkeit, sondern auch in der Anzahl seiner Werke an den Verlag J. Steinbrener heranreichte. – Vierhundert Millionen Gebetbücher im Verlaufe von hundert Jahren in zweiunddreißig verschiedenen Sprachen am ganzen Erdball zu verbreiten, ist eine Kulturtat, die nicht nur dem Verlag sondern auch Österreich zur Ehre gereicht. Wie entstand nun dieses Werk und wer war dessen Begründer? Dies sind Fragen, die sich uns unwillkürlich aufdrängen, wenn wir erfahren, daß vor nunmehr hundert Jahren dazu der Grundstein gelegt wurde.
Wie es begann.
Als im Juni des Jahres 1855 der junge Buchbindermeister Johann Steinbrener in Winterberg, einem kleinen mittelalterlichen Böhmerwaldstädtchen einen Buchbinderladen eröffnete, ahnte er wohl selbst in seinen kühnsten Träumen kaum, daß aus diesen bescheidenen Anfängen ein Unternehmen von Weltgeltung entstehen sollte.
Steinbrener war ein einfacher, gottesfürchtiger aber ungemein agiler und zielstrebiger Mann, für den es keine Schwierigkeiten zu geben schien. Nach zwei Brandkatastrophen, die das Wenige zunichte machten, das er sein eigen nennen konnte, beschäftigte er 1865 seinen ersten Gesellen. Knapp vier Jahre später regten in der Werkstätte bereits vier Gehilfen ihre fleißigen Hände. Der junge Buchbindermeister befaßte sich vornehmlich mit dem Einbinden von Gebetbüchern, die er als Rohexemplare aus einer Linzer Druckerei bezog und auf Jahrmärkten in der Umgebung seiner Heimatstadt feilhielt. Bereits am 12. Februar 1872 konnte er eine eigene Druckerei eröffnen und sich so vom Bezug der Rohtexte unabhängig machen. Kaum ein Jahr später hatte er den Einfall seines Lebens. Durch ein unbedeutendes Erlebnis angeregt, entschloß er sich, eigene volkstümliche Kalender herauszubringen, die es bis dahin noch nicht gab. Schon die nahe Zukunft bewies die Richtigkeit seiner Annahme. Steinbrener wurde der größte Kalenderverleger seiner Zeit.
Stürmischer Aufstieg.
In nimmermüder Arbeit wurde nun der Betrieb immer mehr vergrößert. Der Gebetbuchverlag beschränkte sich noch 1880 nur auf drei Sprachen. Dann ging es unverdrossen stürmisch aufwärts. 1890 sechs Sprache mit 320 Werken; 1900 elf Sprache; 1910 siebzehn Sprachen; 1920 neunzehn Sprachen; 1930 dreiundzwanzig Sprachen und 1938 zweiunddreißig Sprachen mit 3669 verschiedenen Werken. Eine ähnliche Entwicklung wies auch der Kalenderverlag auf. 1907 wurde zum erstenmal die jährliche Millionenauflage erreicht. Als Johann Steinbrener am 16. Mai 1909 sein Leben beschloß, hinterließ er ein Werk, das völlig neu war und in keine der bodenständigen Industrien eingereiht werden konnte.
Das Vermächtnis Johann Steinbreners übernahmen seine beiden Söhne Johannes und Rupert Steinbrener, deren Wirken alsbald die verdiente Anerkennung fand. Am 25. Februar 1911 verlieh ihnen der jetzt heilig gesprochene Papst Pius X. den Titel eines Verlegers des Heiligen Apostolischen Stuhles mit dem Recht, das Wappen Seiner Heiligkeit im Verlage führen zu dürfen.
Der Höchststand war Ende 1937 erreicht. Nahezu tausend Personen arbeiteten in den ausgedehnten Betrieben, die neben der größten Buchbinder des Landes zahlreiche Spezialanlagen umfaßte. 91 Prozent der gesamten Erzeugung wurde in alle Welt exportiert. Einzelne Verlagswerke in spanischer und englischer Sprache erreichten Auflagenhöhen, die an die Zehnmillionengrenze heranreichten. Die Bücher wurden in tausenden verschiedenen Einbänden, je nach dem Geschmack des Volkes, für die sie bestimmt waren, gebunden. Da gab es billige Bücher In Pappbänden, Leineneinbände, Einbände in Kunstleder, in allen Sorten von echtem Leder, in Elfenbein, Büffelhorn, Schildpatt, in echtem und imitiertem Perlmutter.
Schon im Jahre 1927 wurden die gegenwärtigen Firmeninhaber Hans Thomas und Dr. Rupert Steinbrener als Teilhaber in das Unternehmen aufgenommen. Beide hatten sowohl die Buchdruckerei als auch die Buchbinderei praktisch erlernt. Durch weite Reisen lernten sie fast die ganze Erde kennen. Jeder von ihnen spricht mehrere Fremdsprachen.
Schwere Schicksalsschläge.
Das Jahr 1938 brachte mit dem Anschluß des Böhmerwaldes an das Deutsche Reich zunächst gewisse Schwierigkeiten. Der Kalenderverlag unterstand der Zensur der parteiamtlichen Prüfungskommission in Berlin. Für den internationalen Gebetbuchverlag wurden die Papierzuteilungen eingestellt, schließlich wurde er von der Gestapo geschlossen. Verschiedene soziale Einrichtungen verfielen der Beschlagnahme. – Dann begann der zweite Weltkrieg. Mit dem Aufhören des Exportgeschäftes nach Übersee war der empfindlichste Lebensnerv getroffen. Die meisten Arbeiter rückten ein und der Betrieb mußte sich mit Druck- und Bindearbeiten beschäftigen. Die Beendigung des Krieges brachte den schwersten Schicksalsschlag. Am 15. Juni 1945, am Tag des neunzigjährigen Bestehens, erschien in den Büros der Inhaber eine Delegation des Tschechoslowakischen Industrieministeriums und teilte ihnen die entschädigungslose Enteignung des gesamten Unternehmens mit. Im Laufe des Monates Juli 1945 verließen Hans Thomas und Dr. Rupert Steinbrener ihr Werk und ihre angestammte Heimat, gefolgt von dem Großteil ihrer Arbeiter und Angestellten.
Erfolgreicher Wiederaufbau.
Der Wiederaufbau, buchstäblich aus dem Nichts, gestaltete sich unsagbar mühsam. Schon 1945 begannen Hans Thomas und Dr. Rupert Steinbrener mit den vorbereitenden Arbeiten, ein kleiner aber bewährter Mitarbeiterstab stellte sich spontan zur Verfügung. Ende 1946 erschienen von vielen alten Lesern herzlichst begrüßt – der „Große Haus- und Familienkalender“, wieder. In Schärding am Inn fand der Verlag eine neue Wirkungsstätte. Ab 1. Juli 1948 wurde der Buchbindereibetrieb mit primitivstem Handwerkszeug wieder aufgenommen. – Schrittweise ging es nun aufwärts. Der Verlag ist auch in seiner neuen Heimat seiner vornehmsten Aufgabe treu geblieben, für den einfachen Mann aus dem Volke gediegene Andachts- und Unterhaltungsliteratur herzustellen, die den Anforderungen der modernen Zeit Rechnung trägt. Heute herrscht in einer modernst eingerichteten Buchbinderei wieder reges Leben. Gebetbücher in den wichtigsten Weltsprachen nehmen von Schärding aus den Weg in viele Länder. Der Ausbau des fremdsprachigen Verlages konnte auf eine beachtliche Höhe gebracht werden.
So setzt der wiedererstandene Verlag J. Steinbrener seine würdige Tradition fort, zu der ihm der geniale Buchbinder Johann Steinbrener vor hundert Jahren erfolgreich den Weg gewiesen hat.
Verleger Dr. Rupert Steinbrener 60 Jahre[2]
Wer Dr. Rupert Steinbrener in seinem schlichten Büro in Schärding gegenübersitzt, wird er bestimmt nicht glauben, daß der Chronist heute zur Feder greifen muß um ihm zum 60. Wiegenfeste herzlich zu gratulieren. Trotz imponierender Leibesfülle mit unverändert jugendlich gebliebenem Antlitz bietet sich das Geburtstagskind den Besuchern, und viele von ihnen meinten, daß die Zeit, dem Aussehen des Jubilars zufolge, mindestens zwanzig Jahre stehengeblieben ist.
Trotzdem waren gerade die vergangenen zwanzig Jahre voller harter Prüfungen des Schicksals. Doch wir wollen nicht vorgreifen und versuchen in großen Umrissen das Lebensbild des Geburtstagskindes zu zeichnen.
Am 25. Mai 1895 erblickte Dr. Rupert Steinbrener als erstgeborenes Kind des Großindustriellen Rupert Steinbrener und seiner Ehegattin Eleonore geb. Stumpfi zu Winterberg im Böhmerwald das Licht der Welt. Seine Jugend verbrachte er unbeschwert im Elternhaus und besuchte die Volks- und Bürgerschule in Winterberg. Nach der Schulentlassung trat er – nach dem bewährten Beispiel seines Vaters – als Lehrling in den Verlag J. Steinbrener ein, der damals schon in großer Blüte stand und nahezu achthundert Menschen beschäftigte. In den verschiedenen Abteilungen eignete er sich ein gediegenes praktisches Wissen in der Buchdruckerei und Buchbinderei an, vernachlässigte aber dabei keinesfalls seine Allgemeinbildung und maturierte schließlich im Jahre 1914 als externer Kandidat an der k.k. Staatsrealschule Bergreichenstein mit Auszeichnung. Der Ergänzungsprüfung in lateinischer Sprache unterzog er sich anschließend in Wien, wo er an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt, sowie an der Exportakademie (heute Hochschule für Welthandel) inskribiert hatte.
Bald nach Beginn des ersten Weltkrieges, am 26. Oktober 1914, rückte er als Einjährig-Freiwilliger zur Artillerie ein, wurde von dieser später zur Traintruppe transferiert und kam an verschiedenen Kriegsschauplätzen in Galizien, später aber vornehmlich in Italien an die Front. Den Zusammenbruch 1918 erlebte er als k.k. Oberleutnant.
Gleich nach Beendigung des ersten Weltkrieges galt es, die Studien fortzusetzen, die er an den Universitäten in Wien, Prag, Berlin und Zürich betrieb. Er dissertierte schließlich an der Universität Gießen mit einem sozialpolitischem Thema aus dem graphischen Gewerbe und promovierte 1922 dortselbst zum Doktor der Nationalökonomie.
So konnte der junge Doktor, theoretisch und praktisch bestens gerüstet, in den Familienbetrieb eintreten, der sich damals nach der Zerstörung der Österreichisch-Ungarischen Monarchie in einem nicht unkritischen Stadium der Neuorientierung seiner Absatzmärkte befand.
In diese Zeitspanne fällt auch seine Eheschließung mit der älteren Tochter Waltraut des Primararztes Dr. Stini aus Prachatitz, die am 12. Juni 1922 stattfand. Um es gleich vorwegzunehmen: Die Ehe, der fünf Kinder entsprossen, wurde überaus glücklich und könnte heute vielen jungen Menschen als Vorbild dienen.
Dr. Rupert Steinbrener befaßte sich in der Firma, in die er gemeinsam mit seinem Vetter Hans Thomas am 13. Dezember 1927 als Gesellschafter aufgenommen wurde, hauptsächlich mit der Buchdruckerei, der Verlagsabteilung und dem Exportgeschäft nach Zentral- und Südamerika. Unter seiner Leitung hat vor allem das letztere in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen einen ungeahnten Aufschwung genommen. Nachdem er sich durch Selbststudium umfassende Kenntnisse in der spanischen und portugiesischen Sprache angeeignet hatte, unternahm er 1927 seine erste große Überseereise nach Südamerika, die ihn in fast alle Staaten dieses aufstrebenden Kontinentes führte. Per Schiff, Eisenbahn, Flugzeug und nicht zuletzt im Sattel, den er als ehemaliger Trainoffizier besonders hochschätzte, legte er tausende Kilometer zurück und bahnte wertvolle neue Geschäftsverbindungen an. Im Verlaufe dieser Reise überquerte er auch, von Argentinien kommend, mit der höchsten Bergbahn der Welt, die Anden.
Dr. Rupert Steinbrener hat bis 1939 noch mehrere Male die Ozeane in allen Richtungen befahren und unter anderem die zentralamerikanischen Republiken Kuba, Portoriko, die Vereinigten Staaten und Kanada bereist. Europa hat er von den Fjorden Nordnorwegens bis zu den Gestaden des Bosporus kennengelernt und es bedeutet für jedermann ein Vergnügen seinen Berichten zu lauschen, wenn er das eine oder andere interessante Reiseerlebnis zum besten gibt, denn Doktor Steinbrener hat die seltene Gabe sehr gut und spannend zu erzählen.
Am gesellschaftlichen Leben der Stadt Winterberg nahm er regen Anteil und es würde viel zu weit führen, sich hier in Einzelheiten zu verlieren. So wie in seiner gegenwärtigen Wahlheimat, Österreich, erfreute sich Dr. Steinbrener auch in Winterberg ob seiner seltenen Charaktereigenschaften, seiner Güte und seiner warmen Menschlichkeit, bei allen Bevölkerungsschichten größter Beliebtheit.
Der zweite Weltkrieg brachte nicht nur das Ende der weltweiten Verlagstätigkeit des Hauses Steinbrener in Winterberg, sondern für Dr. Steinbrener den bittersten Verlust, den ein Vater hinnehmen muß. Am 3. März 1944 ist sein ältester Sohn Rupert bei Minsk gefallen, der durch seine außergewöhnliche literarische Begabung große Hoffnungen für die Zukunft erweckt hätte.
Die Ereignisse, die nun folgten, stehen noch viel zu nahe in unserer Erinnerung um ausführlicher darauf eingehen zu müssen. Als die Menschheit befreit von der Geißel des Krieges aufzuatmen begann, wurden durch das Verbrechen der Heimatvertreibung zehn Millionen Menschen deutscher Zunge von Haus und Hof vertrieben und ihrer gesamten Habe beraubt. Auch Dr. Steinbrener und seiner Familie blieb dieser Kreuzweg nicht erspart. Am 27. Juli 1945 verließ er mit zwanzig Kilogramm Handgepäck seine Heimatstadt Winterberg, nachdem schon am 10. Juni 1945 die entschädigungslose Enteignung des Verlages J. Steinbrener durch das tschechoslowakische Industrieministerium dekretiert worden war.
Über das Sammellager Ried im Innkreis (Oberösterreich) gelangte er mit seiner Familie und der betagten Mutter endlich nach Gallspach, wo er bei Verwandten eine vorübergehende Bleibe fand. Schon ab Juli 1945 leitete er zielbewußt den Wiederaufbau des Verlages J. Steinbrener in Österreich in die Wege.
Seit 1. Dezember 1947 lebt Dr. Steinbrener in Schärding, der neuen Heimat des alten Verlages J. Steinbrener, der heute wieder eine geachtete Position im österreichischen Verlagswesen einnimmt, verehrt von seinen Mitarbeitern und geschätzt von der Bevölkerung dieser Stadt. Alle die ihn kennen – und die sind wahrlich nicht wenige – wünschen Dr. Rupert Steinbrener noch viele gesunde, glückliche und erfolgreiche Jahre in ungebrochener Schaffenskraft.
Literatur
- Marija Dalbello: Franz Josef’s Time Machine: Images of Modernity in the Era of Mechanical Photoreproduction. In: Book History 5 (2002), S. 67–103.
- Peter R. Frank: Kalender als Spiegel der Zeit. Der Verlag Steinbrener in Winterberg. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Buchforschung in Österreich 2003-1, S. 22–24.
- Reinhold Fink: Advokat und Zuckerbäcker. Handel, Gewerbe und Industrie im Böhmerwald 1930 bis 1940. Norderstedt: Books on Demand, 2005. Zu Steinbrener: S. 55ff.
- Siehe auch http://de.wikipedia.org/wiki/J._Steinbrener
Anmerkungen
[1] Friedrich E. Stumpfi: Hundert Jahre Verlag J. Steinbrener. In: Mein Böhmerwald 10 (1955), Folge 7/8, S. 15–18.
[2] Friedrich E. Stumpfi: Verleger Dr. Rupert Steinbrener 60 Jahre. In: Mein Böhmerwald 10 (1955), Folge 5/6, S. 16–18.