Stauda Sudetendeutscher Verlagsbuchhandel

Johannes Stauda: Der sudetendeutsche Verlagsbuchhandel.
In: Böhmerlandjahrbuch für Volk und Heimat 1923, S. 146–148.

Im alten Österreich war Wien der Mittelpunkt des Verlagsbuchhandels. Die inländischen Verleger brachten vor allem das, was die besonderen österreichischen Bedürfnisse erforderten: Schulbücher, juristische Werke und dergleichen. Der wissenschaftliche und der schöngeistige Verlag, ebenso der Zeitschriftenverlag war trotz bedeutender Einzelerscheinungen immer gering. Der Anteil der Sudetenländer trat in keiner Art hervor.

Erst die neuen staatlichen Verhältnisse, in die wir Sudetendeutschen infolge des Zusammenbruches hineingestellt wurden, haben dem sudetendeutschen Verlagsbuchhandel als solchem Bedeutung und Inhalt gegeben. Damals, als die früheren Verbindungen mit Wien durchschnitten waren und eine Zeitlang das Einfuhrverbot für Bücher drohte, erkannten wir, wieviel uns fehlte. Da wurde dann verhältnismäßig rasch die neue Einstellung gefunden und ohne viel Kräftevergeudung bisher schon eine tüchtige Arbeite geleistet.

Die erste neue Aufgabe für den sudetendeutschen Verlagsbuchhandel war, die durch die neue staatliche Ordnung geforderten Behelfe zu schaffen. Diese Aufgabe ist zum größten Teil gelöst. Wir haben heute Gesetzausgaben in deutscher Sprache, juristische Bücher, Nachschlagebücher, die durch Ergänzungen und Neuausgaben ständig auf dem Laufenden gehalten werden; wir erhielten neben zahlreichen neubearbeiteten auch neue teilweise sehr gute Schulbücher.

Der Verlag Gebrüder Stiepel G.m.b.H., Reichenberg (gegr. 1919) ist hier mit seiner Tätigkeit an erster Stelle zu nennen. Er pflegt hauptsächlich folgende Gebiete: 1. Schulbücher. 2. „Stiepels Gesetzsammlung des tschechoslowakischen Staates“. 3. Juristische Bücher. 4. Schönes Schrifttum. 5. Nachlagewerke u. dgl. (Siehe Verlagsverzeichnis.) – Der Schulwissenschaftliche Verlag A. Haase, Prag, Leipzig, Wien (gegr. 1798) widmet sich schon seit Jahren vor allem dem Aufbau der Arbeitsschule und hat allgemein deutsche Bedeutung. – Der Verlag Paul Sollors Nachf. G.m.b.H., Reichenberg gibt neben Schulbüchern auch pädagogische Werke und Jugendschriften heraus. – Der Nordböhmische Verlag G.m.b.H., Reichenberg (gegr. 1922) ist ein Schulbücherverlag. – Gesetzausgaben in deutscher Sprache bringt auch der Verlag R.M. Rohrer in Brünn.

Die andere neue Aufgabe stellte dem sudetendeutschen Verlage der scharfe politisch-wirtschaftlich-kulturelle Abwehrkampf gegen das „Staatsvolk“, in den das sudetendeutsche Volk hineingezwungen wurde. Es ist bekannt genug, wie sich die Tschechen von Anfang an bemühten, den „eingewanderten“ Deutschen der Sudetengebiete ein eigenes geistiges Leben völlig abzusprechen. Daß sie diese Ableugnung auch in letzter Zeit noch versuchten, zeigt an, wie viel hier noch zu tun ist. Die Darstellung besonders des kulturellen und wissenschaftlichen Lebens der Sudetendeutschen beginnt tatsächlich erst. Trotzdem es Bedeutendes schon getan worden.

An erster Stelle ist hier zu nennen der „Sudetendeutsche Verlag Franz Kraus, Reichenberg (gegr. 1919). Seine Verlagsgruppen sind: 1. Herausgabe der Grenzland-Zeitschrif t „Deutsche Arbeit“ (seit 1901 erscheinend) und Vertrieb der älteren Veröffentlichungen der Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur in Böhmen und der neuen Schriften der Deutschpolitischen Arbeitsstelle. 2. Die Monatschrift „Heimatbildung“ (seit 1919) und ihrer verschiedenen Schriftenreihen. 3. Die lustige Streitschrift für die Sudetendeutschen „Rübezahl“ (seit 1920). 4. „Sudetendeutsche Bücherei“. (Ausführliches im Verlagsverzeichnis.) Die Opferfreudigkeit, mit der dieser Verlag seine Zeitschriften durchhält und ausgestaltet, ist besonders bemerkenswert. – Einvernehmlich mit ihm arbeitet der Böhmerland-Verlag Johannes Stauda, Eger (gegr. 1919), der sich aus der seit dem Jänner 1919 erscheinenden Zeitschrift „Böhmerland“ herausentwickelte und zunächst von der Böhmerland-Bewegung getragen wurde. Er bringt heraus: 1. Die Böhmerlandflugschriften im Anschluß an die Zeitschrift. 2. Das Böhmerland-Jahrbuch (zuerst 1920). 3. „Singebüchlein aus dem Böhmerlande“ und andere musikalische Veröffentlichungen. 4. Die Sudetendeutschen Bildkarten. 5. Die Werkreihe „Sudetendeutschland“ beginnt im Jahre 1923 zu erscheinen. (Siehe Verlagsverzeichnis.) – Hier sind ferner folgende Buchverlage zu nennen: Eduard Strache, Warnsdorf (hat seine Haupttätigkeit jetzt nach Wien verlegt), Druckanstalt Moldavia, Budweis (Böhmerwälder und Bauernbücher), Volksbuchhandlung Runge u. Co., Reichenberg (sozialdemokr. Arbeiter-Schrifttum), Ambr. Opitz, Warnsdorf (als katholisch-kultureller Verlag), J. Steinbrener, Winterberg (Volkskalenderverlag), Karl Prochaska, Teschen (Deutsch-österreichische Klassikerbibliothek). Dann Heimatverlage wie: Krommer, Freudenthal (Schlesier), Jos. M. Thiel, W. Freudenthal (Schlesier), E. Gschihay, Eger (Egerländer), Hans Lerch, Marienbad (Egerländer), die Druckerei J. Czerny, Landskron (Landskroner Heimatbücherei) und andere mehr. (Siehe die Zusammenstellung „Unsere neuen Bücher“.)

Es muß nun leider festgestellt werden, daß die Tätigkeit des sudetendeutschen Verlagsbuchhandels bisher von den 3 ½ Millionen Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien recht wenig beachtet und kaum unterstützt wurde. Der durchschnittliche Absatz sudetendeutscher Verlagswerke reicht im allgemeinen kaum hin, die Ausgaben des Verlegers zu decken; so kann er meist auch nicht viel für die Verbreitung seiner Bücher tun, wenn sich nicht der Ladenbuchhandel stärker einsetzt oder andere Verbreitungsmöglichkeiten sich ergeben.

Eine erhöhte Anteilnahme an den Veröffentlichungen des heimischen, auch stofflich noch meist sudetendeutschen Verlags im Inland ist aber entscheidend, wenn der zur Zeit aus wirtschaftlichen und anderen Gründen schwer zugängliche reichsdeutsche und österreichische Markt gewonnen werden soll; dabei handelt es sich wohl zunächst, aber nicht ständig, um die hunderttausende Sudetendeutscher in Österreich und im Reich. Die Zahl in der Heimat verlegter Bücher, die jetzt jenseits der Grenzen abgesetzt und gelesen werden, ist verschwindend gering, dürfte aber schon jetzt nicht so unbedeutend sein. Die Voraussetzungen dazu müssen die Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien durch größere Regsamkeit daheim mitschaffen.

Die anzustrebende künftige Stellung des sudetendeutschen Verlagsbuchhandels ergibt sich leicht aus zwei Vergleichen. Wir sehen, wie neben München, Berlin, Stuttgart usw. die Schweiz schon lange ein vollwertiges Glied im deutschen Verlagsbuchhandel ist. Wir haben es erlebt, wie zwar der frühere altösterreichische Verlag ein Anhängsel des Gesamtdeutschen war, wie aber im neuen Österreich sich der dortige (Wiener) Verlag mit Ausnutzung verschiedener Vorteile seit 1919 zu immer größerer selbständiger Bedeutung erhob. Der sudetendeutsche Verlagsbuchhandel hat es infolge der herrschenden wirtschaftlichen Verhältnisse wohl schwerer. Auch ist der Wert einer kräftesparenden, gediegenen geistigen Erzeugung durch den Verlag für das Ganze des Sudetendeutschtums noch nicht recht erkannt. Aber sicher ist: Wir brauchen auch sudetendeutsche Bücher im Selbsterhaltungskampf und wir brauchen einen sudetendeutschen Verlagsbuchhandel, der hinauswirkt über die Grenzen.

Anhang: Die Geschichte des Buchverlages, der früher zugleich Buchdruck und Buchhandel war, ist für die Sudetenländer (wie für das alte Österreich überhaupt) noch nicht geschrieben; es gibt nur Abhandlungen über einzelne Orte und Zeitabschnitte. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein fehlen sichere Zahlen für die Verlagstätigkeit; eine Literaturstatistik gab es in Österreich nicht. Aus den Meßkatalogen des deutschen Buchhandels ist einiges zu entnehmen. Im Anfang des 17. Jahrhunderts erscheint unter den österreichischen Verlagsorten neben Wien und Innsbruck zuerst Prag. Im Jahrzehnt 1730–1739 kam nur ein Buch aus Prag auf die Leipziger Messe. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wird es anders, da erscheint Prag mit etwa 40 Werken jährlich auf der Leipziger Messe (neben z.B. Preßburg mit 5, Wien mit 125 und Leipzig mit 500 Werken jährlich). Diese Zahlen betreffen nur die Werke, welche für den deutschen Gesamtbuchhandel Wert haben. Jedenfalls ist das bis weit ins 19. Jahrhundert hinein deutsche Prag ein wichtiger Ort für die Geschichte des deutschen Buchverlages. – Im Jahre 1900 verlegten Bücher in Böhmen 28, im Mähren 9, in Schlesien 7 Verleger, darunter auch Buchdrucker und Vereine. – Im Jahre 1919 wurde von der tschechischen Regierung ein staatliches bibliographisches Institut geschaffen. Seine Aufgaben sind: nach innen: 1. Herstellung eines alphabetischen Verzeichnisses aller inländischen Veröffentlichungen nach Verfassern, 2. Herstellung eines Schlagwortverzeichnisses, 3. Statistik der Büchererzeugung; nach außen: 1. Herausgabe von Bibliographien, 2. Erteilung von mündlichen Auskünften, 3. Herstellung von bibliographischen Verzeichnissen für Private gegen Bezahlung. Erschienen ist ein bibliographisches Verzeichnis aller Zeitungen und Zeitschriften des Staates; fortlaufend erscheint eine bibliographische Zeitschrift. Alle Veröffentlichungen in tschechischer Sprache. – Das erste gemeinsame Verlagsverzeichnis der kulturellen sudetendeutschen Verlage wird für den Herbst 1922 vorbereitet; es wird durch den Buchhandel zu beziehen sein.